Bundesrat will Versorgung mit technologisch fortschrittlichen Hilfsmitteln vorantreiben
Bern, 26.06.2024 - Hilfsmittel wie zum Beispiel Prothesen/Orthesen und Hörgeräte können Menschen mit Behinderungen den Alltag erleichtern und es ihnen ermöglichen, am Arbeitsmarkt teilzunehmen. Der Bundesrat will im Rahmen einer nächsten IV-Revision die Grundlagen schaffen, damit AHV und IV den versicherten Personen möglichst technologisch fortschrittliche und zweckmässige Hilfsmittel zur Verfügung stellen können. Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 26. Juni 2024 einen entsprechenden Postulatsbericht verabschiedet. Ausserdem sollen möglichst rasch Massnahmen umgesetzt werden, für die keine Gesetzesanpassungen notwendig sind.
Wie kann erreicht werden, dass die von der Invaliden- und Unfallversicherung bereitgestellten Hilfsmittel wie z. B. Prothesen/Orthesen und Hörgeräte dem aktuellen Stand der Technologie entsprechen? Diese Frage hat der Bundesrat im Rahmen des Postulats «Menschen mit Behinderung: Zugang zu modernen Hilfsmitteln sicherstellen» (19.4380) der Sozial- und Gesundheitskommission des Ständerats (SGK-S) geprüft. Die versicherten Personen sollen am technischen Fortschritt teilhaben. Zusätzliche Kosten für ein technologisch fortschrittlicheres Hilfsmittel sollen aber einem relevanten zusätzlichen Nutzen für die versicherte Person entsprechen, damit die Sozialversicherungen dabei nicht unangemessen hohe Kosten übernehmen müssen. Mehr Transparenz und die Einführung von Mitteln, mit denen die Preise beeinflusst werden können, sollen den Versicherten den Zugang zu modernen Hilfsmitteln erleichtern.
Optimierung der bestehenden Instrumente im Rahmen einer nächsten IVG-Revision
Der Bundesrat kommt zum Schluss, dass die vier bestehenden Instrumente der Leistungsvergütung optimiert werden sollen: Pauschalen (z. B. bei den Hörgeräten), Tarifverträge (z. B. bei Rollstuhlversorgungen) und Höchstbeträge (z. B. für Perücken). Ein weiteres Instrument ist das Vergabeverfahren (Einkauf von Hilfsmitteln nach Ausschreibung). Dieses kann nach heutigem Recht nur angewendet werden, wenn eine Vergütung mit den drei erstgenannten Instrumenten nicht möglich ist. Das Vergabeverfahren ist bisher nicht zum Zug gekommen.
Der Bundesrat will im Rahmen der nächsten Revision des IV-Gesetzes folgende Gesetzesanpassungen vorschlagen, um Einfluss auf die Preisgestaltung der Hilfsmittel nehmen zu können. Die Preise der Hilfsmittel können von Seiten der Sozialversicherungen nur über die Instrumente zur Vergütung von Hilfsmitteln beeinflusst werden.
- Bei der Festlegung von Pauschalen soll neu ein Auslands-Preisvergleich vorgenommen werden.
- Die Sozialversicherungen sollen das Recht erhalten, in die Kalkulationsgrundlagen der Leistungserbringenden Einsicht zu nehmen.
- Die Sozialversicherungen sollen das Recht erhalten, Rabatte und Vergünstigungen aus der Handelskette in die Festlegung der Vergütungsbeträge einzubeziehen.
- Die Vergabeverfahren sollen den anderen drei Vergütungsinstrumenten (Pauschalen, Tarifverträge, Höchstbeträge) gleichgestellt und damit ohne Bedingungen anwendbar werden.
Ohne Gesetzesanpassungen mögliche Verbesserungen
Weitere Verbesserungen sind auch ohne Gesetzesanpassungen möglich. So soll bis Ende 2024 ein standardisiertes Antragsverfahren für neue Hilfsmittel eingeführt werden. Ein solches verbessert den Kenntnisstand über die Marktentwicklung sowie über die Kosten-Nutzen-Verhältnisse.
Der Bundesrat hat das Eidgenössische Departement des Innern zudem mit der Umsetzung weiterer Massnahmen beauftragt. So sollen Tarifverträge mit Herstellern den Sozialversicherungen ermöglichen, Einfluss auf die angebotenen Produkte auszuüben. In bestimmten Hilfsmittelbereichen könnten Referenztarifverträge mit den Leistungserbringern abgeschlossen werden.
Schliesslich hat der Bundesrat das Bundesamt für Sozialversicherung und das Bundesamt für Gesundheit damit beauftragt, ein Health Technology-Assessment für Hilfsmittel zu prüfen, also die systematische Prüfung und Beurteilung von neuen Produkten oder Technologien. Das BAG kennt solche Prüfungen bereits für medizinische Leistung.
Vertieft geprüfte und verworfene Alternativen
Das Postulat verlangt explizit, dass die Möglichkeit einer Preisfestsetzung für Hilfsmittel ähnlich der Spezialitätenliste für Medikamente im Krankenversicherungsbereich geprüft wird. Eine solche Spezialitätenliste für Hilfsmittel hält der Bundesrat für deutlich zu aufwändig. Es wäre für den Grossteil der Hilfsmittel zudem nicht anwendbar, da die meisten Versorgungen mit Hilfsmitteln nicht nur aus einem technischen Produkt, sondern zu einem grossen Teil aus Dienstleistungen bestehen.
Vertieft geprüft und ebenfalls verworfen wurde die Schaffung eines Hilfsmittel-Kompetenzzentrums, wie es etwa Norwegen kennt. Ein solches Zentrum wäre aber äusserst komplex und dessen Schaffung würde sehr viel Zeit in Anspruch nehmen und hohe Kosten verursachen.
Die Sozialversicherungen stellen bereits heute eine qualitativ hochstehende Versorgung mit modernen Hilfsmitteln sicher. Ein technisch fortschrittlicheres Hilfsmittel können sie dann zusprechen, wenn dessen Mehrkosten angemessen sind und wenn das Hilfsmittel der versicherten Person im Einzelfall einen relevanten Mehrnutzen verschafft. Die Sozialversicherungen müssen ihre beschränkten finanziellen Mittel effizient einsetzen, um Versorgungen mit Hilfsmitteln und die dazugehörenden Dienstleistungen sicherzustellen. Die Sozialversicherungen können die Hilfsmittelpreise allerdings nicht direkt, sondern nur indirekt beeinflussen, nämlich über die gesetzlichen Vergütungsinstrumente. Diese stehen daher im Zentrum des Berichts. Da die IV und die AHV bei der Versorgung mit Hilfsmitteln eine zentrale Rolle spielen und die meisten Hilfsmittel finanzieren, hat sich der Bundesrat im Bericht auf diese beiden Sozialversicherungen konzentriert. Auch die Unfall-, die Militär- und teilweise die Krankenversicherung kennen Hilfsmittelversorgungen als Leistungsart.
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