Pauschalabzug verbessert den Lohnvergleich für Menschen mit Invalidität

Bern, 18.10.2023 - Die Bemessung des Invaliditätsgrades von Versicherten, bei welchen kein Vergleich des effektiven Einkommens vor und nach der Invalidität möglich ist, soll verbessert werden. Die bisher angewendeten hypothetischen Löhne, die als zu hoch kritisiert wurden, sollen um einen Pauschalabzug von 10% reduziert werden, um den Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt Rechnung zu tragen. Dies führt zu höheren IV-Renten und zu vermehrten Umschulungen. Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 18. Oktober 2023 in Erfüllung der Motion 22.3377 eine entsprechende Änderung der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV) verabschiedet und per 1. Januar 2024 in Kraft gesetzt.

Der sogenannte Invaliditätsgrad (IV-Grad) bestimmt die Höhe einer IV-Rente. Er wird ermittelt aus dem Vergleich des Einkommens, das eine Person vor der Invalidität erzielt hat, und jenem, das sie mit der Invalidität noch erzielen kann. Die Differenz in Prozenten ergibt den IV-Grad. Bei versicherten Personen ohne Einkommen muss ein Einkommen angenommen werden, das eine Person in ihrer Situation erzielen könnte. Dazu werden Erhebungsdaten des Bundesamtes für Statistik (BFS) für zahlreiche Berufsbilder und mehrere Kompetenzstufen beigezogen. Diese bilden die Einkommen vor allem von Personen ohne Invalidität ab, also tendenziell höhere Löhne, als Personen mit Behinderung sie erzielen können.

Wenn beim Einkommensvergleich ein zu hohes hypothetisches Einkommen angenommen wird, so resultiert eine kleinere Differenz zum Einkommen vor der Invalidität, somit ein tieferer IV-Grad. Dies führt zu einer tieferen Rente, in Grenzfällen kann der Anspruch auf eine Rente vollständig entfallen. Mit der seit 2022 geltenden IV-Reform wurde dieses Problem bereits teilweise behoben. Zur umfassenden Korrektur sieht der Bundesrat mit der Änderung der IV-Verordnung nun vor, dass das hypothetische Einkommen gemäss Lohnerhebungsdaten des BFS mit einer pauschalen Reduktion von 10% in die Vergleichsrechnung einbezogen wird. Der Prozentsatz orientiert sich an einer Studie von 2021 des Büros BASS. Dieser Korrekturfaktor bzw. Pauschalabzug ist praktikabel und kann ohne umfangreiche Anpassungen bereits auf Anfang 2024 umgesetzt werden. Er wird als abschliessender Korrekturfaktor und als dauerhafte Lösung eingeführt.

Anwendung auch auf laufende Renten

Die Neuerung wird in allen neuen Rentenfällen angewendet, in denen wegen fehlendem Einkommen ein hypothetisches Einkommen angenommen werden muss. Entsprechende bereits laufende Renten müssen die IV-Stellen innerhalb von drei Jahren nach den neuen Regeln revidieren. Dies betrifft grob geschätzt 30'000 Rentnerinnen und Rentner, die nicht bereits eine ganze Rente (IV-Grad von 70% und mehr) erhalten.

Finanzielle Auswirkungen auf die IV und andere Sozialversicherungen

Gemäss einer groben Schätzung werden für die IV Mehrkosten von 82 Mio. Franken pro Jahr erwartet. Da bei der Prüfung der Anspruchsberechtigung auf eine Umschulung dieselbe Bemessungsgrundlage wie bei einer Rente angewandt wird, werden auch mehr Personen Anspruch auf eine Umschulung haben. Die Mehrkosten dafür können nicht zuverlässig abgeschätzt werden. Der Bundesrat geht von 40 Millionen Franken Mehrkosten aus.

Bei den Ergänzungsleistungen ergeben sich durch die höheren Renten einerseits Einsparungen. Da mehr Betroffene als heute Anspruch auf eine Rente und somit teilweise auch Anspruch auf EL haben werden, ergeben sich für die EL anderseits auch Mehrausgaben. Per Saldo werden jährliche Mehrkosten von 14 Mio. Franken geschätzt. Diese Kosten entfallen zu 5/8 auf den Bund, zu 3/8 auf die Kantone.

Gemäss grober Schätzung könnten sich die Mehrkosten in der beruflichen Vorsorge auf rund 30 Mio. Franken pro Jahr belaufen.

 

Festlegung des IV-Grads
Derzeit wird zur Festlegung des IV-Grads auf die Medianlohndaten aus der Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik abgestützt (LSE-Lohntabellen). Fachpersonen aus den Bereichen Recht und Forschung hatten auf dieser Basis und abgestützt auf Ergebnisse aus der Schweizer Paraplegiker-Forschung erste Entwürfe von angepassten Lohntabellen für den IV-Bereich erarbeitet. Das Parlament beauftragte mit der Motion 22.3377 «Invaliditätskonforme Tabellenlöhne bei der Berechnung des IV-Grads» den Bundesrat, eine Bemessungsgrundlage für die IV einzuführen, die der Einkommensrealität von Menschen mit Behinderung besser Rechnung trägt. Das Bundesamt für Sozialversicherungen berief dazu Anfang 2022 eine Arbeitsgruppe ein, in der das BFS, das Bundesamt für Gesundheit und die erwähnten Fachpersonen vertreten sind. Die Arbeiten haben rasch bestätigt, dass die Erarbeitung von angepassten Lohntabellen sehr anspruchsvoll und in kurzer Zeit nicht möglich ist. Eine solche müsste die Situation aller Betroffenen (körperlich, psychisch, kognitiv beeinträchtigt; Mehrfacherkrankungen; Männer und Frauen; Berufsfeld; berufliche Kompetenzen) angemessen widerspiegeln, den gewünschten Effekt für alle erzielen, dürfte dabei keine nachteiligen Effekte auslösen und müsste mit verhältnismässigem Aufwand praktikabel sein.

Der ab 1. Januar 2024 neu anzuwendende Pauschalabzug berücksichtigt bei der Ermittlung des Einkommens mit Invalidität realistische Einkommensmöglichkeiten von Personen mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung. Der Pauschalabzug wird als dauerhafte Lösung eingeführt.

 


Adresse für Rückfragen

Florian Steinbacher, Vizedirektor
Leiter Geschäftsfeld Invalidenversicherung
Bundesamt für Sozialversicherungen BSV
+41 58 462 43 00
florian.steinbacher@bsv.admin.ch



Herausgeber

Der Bundesrat
https://www.admin.ch/gov/de/start.html

Eidgenössisches Departement des Innern
http://www.edi.admin.ch

Bundesamt für Sozialversicherungen
http://www.bsv.admin.ch

https://www.bsv.admin.ch/content/bsv/de/home/publikationen-und-service/medieninformationen/nsb-anzeigeseite.msg-id-98253.html