Weiterentwicklung der IV tritt am 1.1.2022 in Kraft: Verstärkte Unterstützung Betroffener

Bern, 03.11.2021 - Die Weiterentwicklung der IV tritt am 1. Januar 2022 in Kraft. Dies hat der Bundesrat an seiner Sitzung vom 3. November 2021 beschlossen. Die Gesetzesrevision bringt insbesondere Verbesserungen für Kinder, Jugendliche und Menschen mit psychischen Problemen. Bei den medizinischen Begutachtungen werden Massnahmen zur Qualitätssicherung und für mehr Transparenz eingeführt. Die Umsetzung dieser Revision bedingt umfangreiche Änderungen auf Verordnungsstufe, zu welchen eine Vernehmlassung stattgefunden hat. Der Bundesrat hat deren Ergebnisse zur Kenntnis genommen und einige Anpassungen an den Verordnungsregelungen vorgenommen.

Die Weiterentwicklung der IV (WEIV) hat zum Ziel, insbesondere Kinder und Jugendliche mit gesundheitlichen Einschränkungen und psychisch erkrankte Versicherte noch gezielter zu unterstützen, um ihr Eingliederungspotential zu stärken und die Vermittlungsfähigkeit weiter zu verbessern. Unter anderem intensiviert die IV dazu die Zusammenarbeit insbesondere mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten sowie den Arbeitgebenden als beteiligten Akteuren. Weiter werden die Massnahmen für Jugendliche aufeinander abgestimmt und näher am ersten Arbeitsmarkt ausgerichtet. Die Beratung und Begleitung von jungen Versicherten wie auch von Fachpersonen aus Schule und Ausbildung wird ausgebaut und verstärkt. Die bei Erwachsenen bewährten Instrumente der Früherfassung und der sozialberuflichen Integrationsmassnahmen werden auf Jugendliche ausgeweitet.

Medizinische Gutachten: Massnahmen für Qualitätssicherung und Transparenz

Im Rahmen der WEIV werden die Abklärungsmassnahmen und das Verfahren im Zusammenhang mit medizinischen Begutachtungen für alle Sozialversicherungen einheitlich geregelt. Bei der Vergabe von Gutachtensaufträgen sollen sich Versicherung und versicherte Person einvernehmlich auf einen Auftragnehmer einigen. Zudem wird bei den Begutachtungen mehr Transparenz geschaffen, indem die Interviews der Sachverständigen mit den versicherten Personen neu mit einer Tonaufnahme erfasst und zu den Akten genommen werden. Spezifisch für die IV ist vorgesehen, dass die IV-Stellen eine öffentlich zugängliche Liste mit Angaben zu den von ihnen beauftragten Sachverständigen führen (Anzahl der getätigten Gutachten, Vergütungen, attestierte Arbeitsunfähigkeiten, Beurteilung der Gutachten in Gerichtsentscheiden).

Neu werden auch die bidisziplinären Gutachten nur noch an zugelassene Gutachterstellen und an Sachverständigentandems nach dem Zufallsprinzip vergeben, was bisher nur für die polydisziplinären Begutachtungen galt (drei und mehr Fachdisziplinen erforderlich). Um die Qualität der Begutachtungen zu sichern, wird eine unabhängige, ausserparlamentarische Kommission geschaffen, deren Aufgaben und Kompetenzen auf Verordnungsstufe geregelt werden. Patienten- und Behindertenorganisationen erhalten aufgrund der Vernehmlassung eine stärkere Vertretung in der Kommission, zulasten jener der Ärztinnen und Ärzte. Im Weiteren werden für die medizinischen Sachverständigen Anforderungen an ihre beruflichen Qualifikationen definiert.

Klarere Regelung für die Bemessung des IV-Grads

Damit der Anreiz besteht, die Erwerbstätigkeit zu erhöhen, wird für Neurenten ein stufenloses System eingeführt. Im bisherigen Rentensystem mit vier Stufen ist es für viele IV-Rentnerinnen und -Rentner nicht attraktiv, mehr zu arbeiten, weil sich wegen Schwelleneffekten ihr verfügbares Einkommen nicht erhöht. Ab einem IV-Grad von 70 Prozent bleibt eine ganze Rente zugesprochen.

Mit der Einführung des stufenlosen Rentensystems durch die WEIV erhält die prozentgenaue Erhebung des IV-Grades einen höheren Stellenwert. Denn für die Rentenhöhe kommt es neu auf jedes Prozent IV-Grad an. Um die Rechtssicherheit und Einheitlichkeit zu erhöhen, werden die wichtigsten Grundsätze zur Bemessung des Invaliditätsgrades neu auf Verordnungs- statt auf Weisungsstufe geregelt. Bei Teilerwerbstätigen, beim Vergleich des Einkommens vor und des erzielbaren Einkommens nach der Invalidität, bei Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, bei Geburts- und Frühinvaliden sowie bei unterdurchschnittlichen Einkommen vor der Invalidität werden Regelungen geklärt, was den Versicherten in verschiedener Hinsicht entgegenkommt. In der Vernehmlassung wurden insbesondere die Regelung des sogenannten «leidensbedingten Abzugs» und die Anwendung der Tabellen der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung bei der Annahme eines erzielbaren Einkommens kritisiert. Der Bundesrat hält an dieser Praxis fest, allerdings hat das Bundesamt für Sozialversicherungen den Auftrag zu prüfen, ob die Entwicklung von spezifisch auf die IV zugeschnittenen Bemessungsgrundlagen möglich ist.

Geburtsgebrechen: Liste wird aktualisiert

Kindern und Jugendlichen finanziert die IV die medizinische Behandlung von bestimmten Geburtsgebrechen. Mit der WEIV werden klare Kriterien im Gesetz festgeschrieben für den Entscheid, ob ein Leiden als Geburtsgebrechen gilt und somit die IV die Behandlungskosten übernimmt. Die Liste der Geburtsgebrechen wird aktualisiert. Leiden, die heute einfach behandelt werden können, werden künftig von der Krankenversicherung übernommen. Andere Leiden, namentlich seltene Krankheiten, werden neu durch die IV übernommen. Die laufende Pflege der Geburtsgebrechen-Liste wird dem Eidgenössischen Departement des Innern übertragen, weshalb die heutige Bundesratsverordnung durch eine Departementsverordnung ersetzt wird. Dies erleichtert die regelmässige Aktualisierung.

Übernahme von Medikamenten: Schaffung eines Kompetenzzentrums

Bei anerkannten Geburtsgebrechen übernimmt die IV auch die Kosten für Arzneimittel. Um Prozesse zu vereinfachen und die fachlichen Kompetenzen zu konzentrieren, wird neu eine IV-Arzneimittelliste (Geburtsgebrechen-Spezialitätenliste, GG-SL) geschaffen. Darauf werden die Medikamente aufgeführt, welche die IV vergütet, sowie deren Höchstpreis. Für die Aufnahme in die Liste wird ein Verfahren zur Prüfung von Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit durchgeführt, analog zur Krankenversicherung. Die neue IV-Arzneimittelliste löst die bestehende Geburtsgebrechenmedikamentenliste (GGML) ab. Die von der IV vergüteten Arzneimittel werden, nachdem die versicherte Person das 20. Altersjahr vollendet hat, im gleichen Umfang von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung übernommen.

Für das Aufnahmeverfahren und für die Führung der GG-SL wird ein Kompetenzzentrum im Bundesamt für Gesundheit eingerichtet, da dieses aufgrund seiner Zuständigkeit für die analoge Spezialitätenliste der Krankenversicherung bereits über die entsprechende Erfahrung verfügt.

Prioritätenordnung für IV-Subventionen aufgeschoben

Dachorganisationen der privaten Invalidenhilfe können Finanzhilfen der IV beanspruchen. Mit der WEIV war vorgesehen, dass der Bundesrat eine Prioritätenordnung festlegt, nach welcher die Subventionen im Rahmen des festgelegten Gesamtbetrags an die einzelnen Organisationen verteilt werden. Dies ist in der Vernehmlassung auf fundamentalen Widerstand gestossen. Daher wird auf die Neuregelung vorerst verzichtet. Eine mögliche Anpassung soll unter Einbezug der Behindertenorganisationen im Hinblick auf die nächste Vertragsperiode (2024-2027) erarbeitet werden.

Neue Departementsverordnung über Pflegeleistungen

Auf den 1. Januar 2022 setzt das Eidgenössische Departement des Innern eine neue Departements-Verordnung über Pflegeleistungen in Kraft. Diese hält fest, welche ambulante Pflegeleistungen (z.B. Spitex-Pflege) für Kinder und Jugendliche von der IV bezahlt werden. Mit der Schaffung einer solchen Verordnung in Zuständigkeit des EDI setzt der Bundesrat einen Auftrag der Weiterentwicklung der IV um.


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