Schätzungen zufolge sind jedes Jahr zwischen 300 000 und 500 000 Personen ab 60 Jahren von einer Form von Gewalt oder Vernachlässigung betroffen. In Beantwortung des Postulats Glanzmann-Hunkeler (15.3945) liefert der Bericht des Bundesrates einen Überblick über die Problematik der Misshandlung älterer Menschen, die sowohl zu Hause als auch im Heim in unterschiedlicher Form auftreten kann.
Der Verlust der Selbstständigkeit, Isolation, Demenz sowie emotionale oder finanzielle Abhängigkeit erhöhen das Risiko für ältere Menschen, Opfer von Missbrauch zu werden. Misshandlungen sind allerdings nicht immer nur auf Böswilligkeit zurückzuführen. Hier können mehrere Faktoren mitspielen, darunter auch die Überforderung und Überlastung von Angehörigen, Fachpersonen oder des Pflege- und Betreuungspersonals. Die Coronakrise hat dieses Phänomen noch verdeutlicht und aufgezeigt, wie schmal der Grat zwischen der Schutzpflicht und der Achtung der Selbstbestimmung ist.
Zur Bekämpfung von Missbrauch im Alter braucht es eine Reihe von Präventions-, Erkennungs- und Interventionsmassnahmen, die sich sowohl an die Opfer als auch an deren Angehörige, an Fachpersonen und die breite Öffentlichkeit richten. Der Bericht gibt einen Überblick über die auf allen Ebenen bereits unternommenen Schritte, insbesondere im Rechts- und im Gesundheitswesen sowie in der Aus‑ und Weiterbildung. Die Hauptzuständigkeit liegt bei den Kantonen, doch auch die Unterstützungs- und Beratungsorganisationen für ältere Menschen und für Opfer, die Ausbildungseinrichtungen für Pflegepersonal und die Alters- und Pflegeheime spielen eine wichtige Rolle. Es bestehen bereits zahlreiche Instrumente wie Sensibilisierungskampagnen, eine schweizweite Hotline oder Weiterbildungsangebote. Die Massnahmen sind aber häufig uneinheitlich und nicht spezifisch auf die Bedürfnisse der älteren Bevölkerung abgestimmt. Ausserdem wäre es sinnvoll, Good Practices über die Kantons‑ und Sprachgrenzen hinaus bekannt zu machen.
Der Bundesrat schliesst aus der Übersicht und den Stellungnahmen diverser vor der Coronakrise befragter Fachpersonen, dass Gewalt im Alter ernster genommen werden muss. Deshalb beauftragt er das Eidgenössische Departement des Innern damit, gemeinsam mit den Kantonen zu prüfen, ob ein zeitlich befristetes Impulsprogramms notwendig sein könnte, um der Prävention und Intervention bei Gewalt und Vernachlässigung im Alter mehr Kohärenz und Sichtibarkeit zu verleihen.