Die Motion Baumann (17.3860) verlangt, dass die Kantone einen vollen Lastenausgleich für die Finanzierung der Familienzulagen einführen müssen. Gemäss Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe k des Familienzulagengesetzes (FamZG) liegt es in der Kompetenz der Kantone, einen Lastenausgleich zwischen den Familienausgleichskassen ihres Kantons einzuführen.
Das FamZG ist seit dem 1. Januar 2009 in Kraft. Obschon es verfassungsrechtlich dem Bundesgesetzgeber freistand, eine umfassende Regelung der Familienzulagen vorzunehmen, beschränkt sich das FamZG auf die Regelung von Rahmenbedingungen. Deshalb kommt den kantonalen Gesetzgebungen weiterhin eine erhebliche Bedeutung zu. Die Kantone verfügen über weitreichende Kompetenzen. Sie regeln u.a. die Organisation, die Aufsicht über die Familienausgleichskassen sowie insbesondere die Finanzierung der Familienzulagen. In Konsequenz dieser Zuständigkeit überlässt es der Bundesgesetzgeber den Kantonen auch zu regeln, ob die Finanzierung im Rahmen eines Lastenausgleichs erfolgen und wie dieser Lastenausgleich ausgestaltet werden soll.
Gegenwärtig wenden elf Kantone ein volles Lastenausgleichssystem an, nämlich BE, LU, SZ, OW, NW, ZG, BL, TI, VD, GE und JU. Drei Kantone führen einen vollen Lastenausgleich für Arbeitnehmende, nicht aber für die Selbstständigerwerbenden durch: UR, SO und SH. Sechs Kantone (ZH, FR, BS, GR, SG und VS) wenden ein System an, bei dem die Lasten teilweise ausgeglichen werden. Insgesamt haben also 20 Kantone Ausgleichssysteme eingeführt. Sie widerspiegeln die jeweiligen kantonalen Eigenheiten und Bedürfnisse. Das Ergebnis der Vernehmlassung fiel bei den Kantonen denn auch zwiespältig aus. So lehnten 6 von den 15 Kantonen, die von der Vorlage effektiv betroffen sind, die Einführung eines vollen Lastenausgleichs ab.
Die ablehnenden Kantone (ZH, BS, SG, AG, TG und NE) gaben übereinstimmend zu bedenken, dass mit einem obligatorischen vollen Lastenausgleich bedarfsgerechte und kantonalpolitisch breit abgestützte Kompromisslösungen verhindert würden. Zudem stehe die Einführung eines vollen Lastenausgleichs im Widerspruch zu den Grundsätzen des in der Familienpolitik stark verankerten Föderalismus. TG und NE wären bereit, die Einführung eines obligatorischen teilweisen Lastenausgleichs zu unterstützen. Ein solcher würde der Solidarität zwischen den schlechter und besser gestellten Familienausgleichskassen in angemessenem Umfang Rechnung tragen, ohne diese Solidarität zu stark zu belasten. Auch die wirtschaftlich bedeutenden Kantone ZH und BS äusserten sich deutlich gegen eine Verpflichtung der Kantone, einen vollen Lastenausgleich einzuführen. Beide Kantone haben erst kürzlich (per 1.1.2021 resp. 1.1.2020) einen Teillastenausgleich eingeführt und argumentieren, dass ihre kantonalen Lösungen sowohl bei den Familienausgleichkassen als auch bei den Arbeitgebenden und der Wirtschaft breite Zustimmung und Rückhalt fänden.
Die befürwortenden Kantone ihrerseits führten im Wesentlichen aus, dass mit einem vollen Lastenausgleich zwischen den Familienausgleichskassen eine ausgewogenere Verteilung der Familienzulagenlasten unter den Arbeitgebern und den Selbstständigerwerbenden innerhalb eines Kantons erreicht werden könne. Da bei den Familienzulagen kein Ausgleichsfonds existiere, müsse die Lastenteilung über einen verpflichtenden kantonalen Ausgleich sichergestellt werden. Der Lastenausgleich pro Kanton ermögliche es, den in der Schweiz geltenden, kantonal unterschiedlich akzentuierten Familienpolitiken Rechnung zu tragen.
Von den politischen Parteien, die sich zur Vorlage geäussert hatten, unterstützten die CVP und die SP die vorgesehene Änderung, während die FDP und die SVP dagegen Stellung nahmen. Von den 5 gesamtschweizerischen Dachverbänden der Wirtschaft (SAV, SBV, SGB, SGV und Travail.Suisse), sprach sich einzig der SAV gegen die Einführung eines vollen Lastenausgleichs aus. Von einzelnen Wirtschafts- bzw. Branchenverbänden waren insgesamt 25 Stellungnahmen eingegangen. Die Mehrheit (16) sprach sich gegen die Einführung eines vollen Lastenausgleichs aus. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass die Verbände jener Branchen, die aufgrund der Einführung eines vollen Lastenausgleichs in Zukunft in den Ausgleich einbezahlen müssten, dagegen waren. Umgekehrt waren jene, die davon profitieren würden, dafür.
Der Bundesrat beurteilt eine Anpassung des Familienzulagengesetzes im Sinne der Motion angesichts der stark kontroversen Stellungnahmen in der Vernehmlassung als weder notwendig noch zielführend. Mit der von der Motion vorgesehenen Neuregelung würde der Bund ohne Not in einen Bereich eingreifen, welcher in der Zuständigkeit der Kantone liegt. Er würde damit politisch abgestützte kantonale Lösungen übersteuern. Das Prinzip des FamZG als Rahmengesetz und die damit einhergehenden kantonalen Autonomien würden so ausgehebelt. Aus diesen Gründen beschloss der Bundesrat, dass die Vorlage nicht weiterverfolgt und dementsprechend die Motion dem Parlament zur Abschreibung beantragt werden soll.
Am 26. April 2022 beantragte die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) die Ablehnung des Antrages des Bundesrates. Ebenso tat dies die Kommission des Nationalrates (SGK-N) am 19. Mai 2022. Sowohl der National- als auch der Ständerat stimmten in der Sommersession 2022 den Anträgen ihrer jeweiligen Kommissionen zu. Dementsprechend hat der Bundesrat dem Parlament am 24. Mai 2023 eine Botschaft und einen Gesetzesentwurf unterbreitet.